In einer Welt mit hohen Anforderungen beginnen viele, die Frage nach der Lebensqualität neu zu stellen. In unzähligen Dokumentationen und privaten Diskussionen konnte in der jüngsten Vergangenheit das Thema „Achtsamkeit“ immer wieder das Interesse auf sich ziehen. Wir nennen die Gründe für diese erhöhte Nachfrage und besprechen einige Übungen auch für die Integration in den Alltag.
Von Termin zu Termin: Hetze in Beruf und Freizeit
Wir alle sind inzwischen einer ständigen Reizüberflutung ausgesetzt – sei es am Arbeitsplatz oder in der privaten Umgebung. Immer wieder neue Anforderungen durch technische Innovationen, die Zeiten im Berufsleben sind durchgetaktet und lassen uns keine ruhige Minute. Auch in der Freizeit sind wir verplant, unsere Ansprüche und die Erwartungen der anderen treiben uns von Event zu Event. Kein Wunder, dass der ein oder andere irgendwann mit Überforderung reagiert. Das kann so weit führen, dass am Ende der Psychiater einen Burnout oder Angstzustände diagnostiziert, vielleicht sogar eine Depression.
Gegen diese andauernd maximale mentale Auslastung gilt es, einen Gegenpol einzurichten. Ruhe und Gelassenheit wiederfinden, sich entschleunigen, zurück zum Hier und Jetzt, das sind Bedürfnisse, die dann erneut entstehen. Denn eine auf Hochtouren laufende Psyche will ihre eigene Lebenswelt wieder akzeptieren, die eigenen Wahrheiten ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellen.
Achtsamkeit als Konzept
Was aber ist Achtsamkeit? Der Buddhismus versteht den behutsamen Umgang mit dem Selbst („Mindfullness“) als eine seiner tiefsten Wurzeln. Und die erhabene Gelassenheit der Asiaten auch in extremen Situationen beeindruckt den Westen immer wieder.
Das Ziel diverser Entspannungs-Techniken dieses Kulturkreises ist das Erlangen eines Zustands, in dem eine Person die Gegenwart annimmt, teilnahmslos beobachtet und schließlich akzeptiert. Das Sein findet sich in einer Verneinung aller Ansprüche, und die Gelassenheit führt zu innerer Zufriedenheit mit einem gewachsenen Selbstbewusstsein.
Das DNW sinnvoll beschäftigen
Achtsamkeit schärft zudem die Sinne und richtet die Wahrnehmung auf das Wesentliche. Als Form einer Psychohygiene dient sie einer erhöhten Sensibilisierung gegenüber dem eigenen Körper, der eigenen Gedankenwelt und der unmittelbaren Umgebung.
Der achtsame Mensch konzentriert sich auf die eigenen Sinne, was seiner inneren Verfassung zu Gute kommt und dem rastlosen Geist endlich Ruhe gönnt. Wissenschaftler konnten wieder und wieder nachweisen, dass verschiedene Achtsamkeit-Übungen die Behandlungen von Persönlichkeits-Störungen und Depressionen unterstützen. Denn Achtsamkeit bedeutet vor allem, dem Default Network (DNW) eine sinnvolle Aufgabe zuzuweisen. Das multifunktionale Netzwerk des Gehirns hat nämlich die unangenehme Eigenart, sich beim Fehlen von realen Herausforderungen mit sich selber zu beschäftigen.
Praktisch gesehen heißt das: Der Geist verweilt mithilfe von einfachen Konzentrationsübungen in der Gegenwart, verlässt Vergangenheit und Zukunft. Der „Sorgen-Generator“ bleibt auf null, das quälende, sich stets wiederholende „Gedanken-Karussell“ kommt zum Halt, und der zuvor vergrübelte, von allen Seiten und seinem rastlosen Selbst Getriebene erlebt wieder tiefe Dankbarkeit, Stolz und Freude.
Achtsamkeit üben und in den Alltag integrieren
Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Methoden, um eine natürliche Behutsamkeit wiederzuerlangen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um anspruchsvolle Trainingseinheiten, vielmehr lässt sich ein achtsamer Zustand leicht erlernen.
Wer sich keinem religiös-philosophischen Zusatz-Kosmos aussetzen will, findet in der Achtsamkeit-Praxis von Jon Kabat-Zinns einen einfachen Weg zur inneren Ruhe. Im Gruppen-Unterricht praktizieren die Teilnehmer einfache Yoga-Übungen, meditieren oder führen einen Body-Scan durch, lenken ihre Wahrnehmung auf den eigenen Körper.
Das Atmen als Zentrum der Wahrnehmung
Bei der Meditation spielt die Atmung eine große Rolle. Das Atem-Zählen lenkt die Aufmerksamkeit auf das Ausatmen und beschäftigt die Psyche mit den eigenen Empfindungen. Sorgen und quälende Gedanken aber treten in den Hintergrund.
Mit zunehmenden Fortschritten beim Achtsamkeit-Training gelingt bald wie beiläufig ein fast selbstverständlicher Übergang in den Alltag. Denn wer beim Duschen die Agenda des nächsten Tages durchgeht, konzentriert sich besser auf das Rauschen des Wassers in all seiner Einfachheit und Anspruchslosigkeit. Der Geschmack des Frühstücks hält die Wahrnehmung in der Gegenwart, nicht der Einkaufszettel, den man auch später ergänzen kann. Beim Gehen spürt der achtsame Mensch den Kontakt zum Boden, den Luftzug oder die wärmenden Strahlen des Sonnenlichts.